“Von Brandmauern, der leeren Mitte und den Ängsten der Jugend”
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Es ist Zeit
Es ist also genau so gekommen, wie viele es vorhergesagt haben: Friedrich Merz hat sein Ziel erreicht, aber seine Partei hat nicht gejubelt im Parlament, sondern eine andere Partei.
Ich habe versprochen, der Newsletter soll etwas von dem Erstezen, was wir bisher in den sozialen Meiden bei mir stattgefunden hat. An so einem Tag schreibe ich euch, weil ich weiß, dass viele sich fragen, was heißt das nun für die liberale Demokratie. Ich werde dieses Wochende drei Podcasts herausbringen in denen es um Deutschland in diesen Zeiten geht mit großartigen Gästen, einer davon Nilz Bokelberg bei Freiheit Deluxe, mit dem ich vor allem über den Eingriff auf die Kultur durch die heftigen Kürzungen sprechen werden.
Über das, was die CDU mit ihrem Abstimmungsverhalten auslöst, werde ich noch gesondert schreiben. Angela Merkel hat sich eben geäußert und bittet um Mässigung. Deutschland braucht eine starke konservative Partei. Ich sehe, wie Friedrich Merz mit seiner Strategie derzeit viele Menschen erschüttert und ihnen die politische Heimat nimmt, sie verunsichert, das soll heute hier im Newsletter Thema sein. Ich will euch hier den Text einen jungen Journalisten vorstellen, der zur Zeit für die Frankfurter Allgemeine Zeitung arbeitet als Werkstudent, Luke Bliedtner, kenne ihn, weil er mich immer wieder bei Projekten geholfen hat. Zeitungen wie die F.A.Z. werden jetzt mit Sicherheit eine wichtige Orientierung für Konservative sein – werden sie Merz´ Verhalten Kleinreden oder normalisieren?
Er arbeitet gerade dort und das löst in ihm Fragen aus. Ein junger Mensch in Deutschland, der spürt, dass gestern kein gewöhnlicher Tag war. Es ist viel die Rede von den Jugendlichen, die plötzlich rechts wählen, weil das angeblich der Trend ist. Medien stürzen sich gerne auf solche news. In diesem Newsletter soll heute Platz sein für einen jungen Menschen, der das Gegenteil fühlt, der zum ersten Mal nicht hinnehmen möchte, sich äußern möchte, seine Zweifel und Ängste über Deutschland nach dem gestrigen Tag in seinem ersten Text zum Ausdruckt bringt. Mich ermutigt der Text, weil es auch zeigt, dass die nächste Generation nicht geschichtsvergessen ist und wenn Journalisten von morgen so kritisch beobachten, dann ist das ein Signal das Hoffnung macht, auch wenn der Text von Ängsten spricht.
Bleibt sanft radikal und lest den Text jetzt hier,
Vielleicht habe ich mich zu sicher gefühlt
Kommentar von Luke Bliedtner
29.01.2025 – ein Tag den ich mir merken werde wie den 11. September, das Jahr 2015, Hanau oder die „Zeitenwende“. Daten, Orte, und Aussagen, die sich ins kollektive Gedächtnis brennen und sinnbildlich für etwas Größeres stehen. Gesellschaftliche Zäsuren, die in ein Davor und ein Danach teilen. Eine unendliche Menge von Gefühlen und Gedanken bauen sich in mir auf. Ich sitze am Tag danach im Zug und überdenke meine Entscheidung, als Hilfskraft bei einer konservativen Zeitung zu arbeiten. Die Kommentare der alten weißen Männer, die das Vorgehen von Merz rechtfertigen, zeigt die Bedingungslosigkeit, mit der die Politik der CDU verargumentiert wird. Aber was ist die Konsequenz aus dem Schulterschluss der Konservativen mit den Rechtsextremen?
Die Arbeit für eine Partei kam für mich als Politikwissenschaftsstudent nie in betracht. Zu sehr war mir das Parteipolitische von Machtkämpfen geprägt und zu häufig wurden inhaltliche Debatten durch Plattitüden ausgesessen, bis die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen erschöpft war. Seit heute, oder besser seit der Abstimmung gestern, habe ich das Gefühl mein Wohlfühlbereich zu weit gefasst zu haben. Konsequenter, langatmiger, durchsetzungsstärker — all diese Dinge irgendwo erlernen, um Menschen wie Friedrich Merz und Christian Lindner etwas entgegenstellen zu können. Und dann was?
Mich entsetzt die Selbstverständlichkeit mit der den Menschen und kollektiven Errungenschaften ins Gesicht gespuckt wird, um ja keinen Zentimeter Macht abtreten zu müssen. All die Generationen von Gastarbeiterinnen, die mehr als nur Gäste sein wollten, Migrantinnen, die ihre Heimat verlassen mussten, und sich mühsam etwas Neues aufbauen, all die Freundschaften und Beziehungen, die sich nicht für Grenzen interessieren und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen wollen. All die Menschen, die Deutschland prägen und gestalten aber von der AfD entmenschlicht werden. Und jetzt kommen CDU und FDP (und der BSW) und lassen genau diese Menschen im Stich, verraten das selbst konstruierte Bild der „politischen Mitte“. Ich verstehe nicht, wieso das lauteste, krasseste, menschenfeindlichste Argument so verhaftet, die Menschen unendliches Vermögen mit politischer Kompetenz verwechseln und unsere Medienlandschaft sich so schwer tut, Dinge zu benennen für das, was sie sind. Ein Hitlergruß? Kann man ja auch anders deuten. Ein Kriegsverbrechen? Lässt sich auch kleinreden. Ein Schulterschluss mit einer Partei, in der nachweisliche Teile rechtsextrem sind? Soll jetzt auch Mitte sein. Das Konstrukt der Mitte sagt nichts darüber aus, wo diese Mitte anzufinden ist und welche Inhalte diese vertritt.
Eine ausgewogene Berichterstattung heißt nicht, dass eine rechtsextreme Meinung durch eine moderate Meinung aufgewogen wird. Sie bleibt rechtsextrem und falsch. Wir haben uns von PEGIDA durch Corona jagen lassen, von Donald Trump einen neuen Imperialismus eintrichtern lassen und von Merz in den politischen Winterschlaf singen lassen, dass am Ende ja keine Zusammenarbeit mit der AfD geschehen wird. Ehrenwort! Wirklich!
Dieses Ehrenwort steht nicht mehr, stand sowieso noch nie und ist auch nicht wieder zu reparieren. Das was gestern im Bundestag geschehen ist, ist eine Zäsur. Es ist eine Hommage der CDU und FDP an die halbherzige Aufarbeitung des Nationalsozialismus, ein süffisantes Lachen der alten weißen Männer, wenn die jungen Leute mal wieder von einer besseren Welt reden. Politik ist überall und immer. Und sie ist nicht nur am Tag der Wahl. Ich werde mir überlegen müssen, wie ich damit umgehe, wenn es um Freundschaften, Familie und Bekannte geht. Auch mein Job als Hilfskraft in der FAZ war vielleicht doch der falsche Schritt für den Namen im Lebenslauf. Sitzen doch genau dort im obersten Stock die gleiche Art weiße Männer, die ihrem Friedrich den Rücken freihalten. Am Ende steht fest, so wie es ist darf es nicht bleiben und konservativ sein ist keine Haltung sondern ein Aussitzen, ein Darauf-Hoffen, dass sich alle gesellschaftlichen Probleme schon mit der Polizei richten lassen. Das ist nicht das Deutschland in dem ich „gut und gerne“ leben will. Aber ich weiß, wer die Menschen sind, mit denen ich gerne zusammen lebe und welche Menschen mein Leben und das der Menschen um mich herum bereichern. Diese Bindungen werde ich ausbauen, schätzen und schützen. Für ein weltoffenes Deutschland, gegen das Vergessen.
Luke Bliedtner (27) studierte an der Goethe Uni in Frankfurt am Main Politikwissenschaften und Amerikanistik (B.A.) und macht zur Zeit seinen Master an der Uni Kassel. Durch die Corona-Pandemie eingetaucht in die Medien-Branche, als Redaktions- und Produktionsassistent bei Auftragsproduktionen für HR, ZDF und ARTE. Zur Zeit als studentische Hilfskraft für Video und Social Media bei der FAZ.
Bluesky: @abitlukewarm.bsky.social