Jagoda Marinić macht Mut, die eigenen Träume zu leben

Mit der Lesung von Jagoda Marinić in der Gesamtschule Nettetal fand das Literaturfestival „Weltliteratur im Ghetto“, das Lesefest des Lobbericher Dichters und Verlegers Dinçer Güçyeter, seinen Abschluss. Alle sieben Festivaltermine waren ausgebucht, die Besucher kamen teilweise aus der gesamten Bundesrepublik. In der Euphorie über den Riesenerfolg des zweiten Lesefestes versprach Dinçer Güçyeter: „2027 wird es die dritte Ausgabe geben.“ Marcel Beyer, der mit seiner Rede mit Postkarten-Texten das Festival in der Alten Kirche eröffnete, macht schon mächtig Werbung dafür. Beim Sommerfest des Suhrkamp Verlages am Berliner Wannsee erzählte er seinen Schriftsteller-Kollegen, so etwas wie das Festival „Weltliteratur im Ghetto“ habe er noch nie erlebt. Und schrieb dann an Güçyeter: „Jetzt wollen alle nach Nettetal kommen.“
Alle müssen zwei Jahre warten – denn das diesjährige Literaturfestival ist vorbei. Der Schlusspunkt war ein Gesprächsabend in der Mensa der Gesamtschule Nettetal. Eingeladen war die Heidelberger Autorin, Podcasterin und Kolumnistin Jagoda Marinić. Dazugekommen waren nicht nur die Festivalgäste, sondern auch die Schüler der Deutschkurse der elften und zwölften Jahrgangsstufe der Gesamtschule. Mitgebracht hatte die Autorin ihr neustes Buch „Sanfte Radikalität“ – aber sie las gar nicht daraus, sondern kam schnell mit dem jungen Publikum ins Gespräch.
Marinić ist kein Flüchtlingskind, sie ist Tochter einer kroatischen „Gastarbeiterfamilie“, 1977 in Waiblingen geboren und in Stuttgart aufgewachsen. Schon früh begann sie, heimlich zu schreiben. Früh wurde sie auch vom Suhrkamp Verlag entdeckt und war 2001 mit „Eigentlich ein Heiratsantrag“ die jüngste Autorin, die ein Herbstprogramm des Verlages eröffnete. In Heidelberg, wo sie Germanistik, Politikwissenschaft und Anglistik studierte und heute lebt, hat sie das Internationale Zentrum von der Gründung 2012 an elf Jahre lang geführt und zum Vorbild für gelebte Vielfalt gemacht. Heute leitet Marinić das Internationale Literaturfestival Heidelberg.
Ihr neuestes Buch „Sanfte Radikalität“ hat den Untertitel „Zwischen Hoffnung und Wandel“. In einer Aufbruchstimmung der letzten Jahre haben viele Minderheiten versucht, einen gesellschaftlichen Wandel durch laute Töne und harte Forderungen voranzubringen. Andere Teile der Gesellschaft folgten den „woken“ Forderungen nicht.
Die Autorin macht in ihrem Buch Vorschläge, aus dieser Radikalität herauszukommen. Es geht darum, wieder zu handelnden Subjekten zu werden, statt sich in den Empörungswellen der sozialen Medien zu verlieren.
Im Gespräch in der Mensa traf Marinić jedenfalls den richtigen Ton. Sie forderte die jungen Zuhörer auf, ihr Recht auf Träumen auszuleben. Sie selbst habe immer davon geträumt, einmal in der New York Times einen Artikel zu veröffentlichen. Mit einem Text über Olaf Scholz ist es ihr gelungen, diesen Kindheitstraum zu verwirklichen – und spürte sofort, was Weltöffentlichkeit bedeutet. „Findet eure Ressourcen, tut, was euch Bock macht“, so Marinić.
Bei der Arbeit für das Internationale Zentrum, für eine diverse Gesellschaft, sei sie oft angefeindet worden. Sie machte den jungen Zuhörern Mut, keine Angst zu haben, frei zu sein. Eher sehe sie die Freiheit für alle in Gefahr. Unsere Demokratie sei eine der zivilisiertesten Konstruktionen der Geschichte. Aber wer könne garantieren, dass Deutschland in zehn Jahren noch ein freies Land sei? Die Autorin warb für eine offene Gesellschaft und das Friedensprojekt Europa.
Die 17-jährige Schülerin Nurai Gadzhieva aus der Stufe elf war von der Autorin fasziniert. „Sie ist ein Vorbild für uns jüngere Menschen“. Marinić habe Mut gemacht, im Leben etwas auszuprobieren. Das habe ihr gefallen. Auf jeden Fall sei das Interesse geweckt, jetzt auch das Buch zu lesen. Auch Vanesa Gashi, ebenfalls 17-jährige Schülerin der Jahrgangsstufe zwölf, will das Buch noch lesen. Die Inhalte Demokratie und Meinungsfreiheit werden aktuell auch an der Schule diskutiert. Die Autorin sei eine „sehr kompetente Frau“, die für die Rechte anderer einstehe.
